Interview mit Gerd Haffmans  
   

"Wenn ein bisschen Humor dabei wäre"

Interview: Gerd Haffmans, Anfang 2009, anlässlich des Erscheinens des Sammelbandes Mein Harem. Das Interview wurde von der Presse-Abteilung des Verlages verschickt und war auch unter wechselzeit.info zu lesen.

Zweitausendeins

 

Weil Ihnen die landesübliche erotische Literatur nicht erotisch genug war, haben Sie die eben selber geschrieben. Fing so alles an?

Alles fing an mit einem unglaublich miesen Buch, der Lebensbeichte eines Zuhälters, die ich im Grabbel in einem Supermarkt entdeckt und als Ferienlektüre gekauft hatte. Da kamen Wörter vor, meine Güte, ein obszönes, unaussprechliches Vokabular, das konnte ich kaum fassen. Ich war übrigens fünfzehn. Ich schlug das Buch also als Teenager auf und klappte es zu als Verbalerotikerin. Danach machte ich mich über die erotischen Bücher meines Vaters her.

Sehr freudianisch.

Er selbst liest heute übrigens gar keine Erotika mehr, weil er dabei wohl nicht ausblenden kann, dass alle Erotikautorinnen irgendjemandes Tochter sind. Sorry Dad!

Und wie ging es dann weiter?

Als sich der erste Hormonrausch beruhigt und ich eine Reihe davon gelesen hatte, gefielen mir diese Bücher immer weniger. Bei den männlichen Autoren waren die Frauen alle heiße Sexbomben oder Lolitas, doch kaum echte Frauen. Und bei den Autorinnen wurde ganz viel politisiert und schwadroniert. (Anaïs Nin mal ausgenommen, aber auch die hat man ja irgendwann gelesen.) Ich dagegen wollte explizite, harte, heiße Sexszenen mit Nahaufnahmen und vielen scharfen Worten. Schwüle, ganz klare und deutliche Szenen, die auch lang genug sind, um sie in Ruhe durchzumasturbieren, ohne ständig zu einem einzelnen geilen Satz zurückblättern zu müssen.

Da war es eigentlich nur konsequent, dass Sie selbst anfingen, erotische Geschichten zu schreiben.

Mittlerweile bin ich fast immer im "Pornomodus": Ich sehe, höre und erlebe ständig etwas, das in diese Geschichten einfließt. Ich habe immer ein was-wäre-wenn im Kopf. Ich stehe an der Supermarktkasse, ein anderer Kunde lächelt mir zu, und ich überlege, was wäre, wenn ich den jetzt ansprechen, ihn anmachen, mit ihm mitgehen würde? Was würde ich gern mit ihm tun? Welche Geheimnisse hat er? Was würde ich erleben?

Über Lust zu schreiben, bringt das eine Steigerung der Lust? Oder kann die verbale Schilderung der Lust die Lust steigern?

Worte verbinden den Unterleib mit dem Gehirn, und je besser diese Leitung funktioniert, umso lustvoller wird es. Das kann das berühmte "Weißt du was ich jetzt gerne mit dir machen würde"-Gespräch als Vorspiel sein oder ein dahingehauchtes "fick mich" beim Sex. Außerdem, und das wäre jetzt die pragmatische Seite des Ganzen, ist es schon sehr hilfreich, wenn man über Sex reden kann, wenn man mal etwas mit dem Partner klären will. Pornofilme werden erotische Texte nie ersetzen, denn bei Filmen sieht man nur zu, beim Lesen spielt man aber mit.

Warum sind Ihre Erotikszenen so explizit?

Caramelsüße Musikantenstadl-Rüschenromantik wird es bei mir nie geben, das erscheint mir zu klebrig, zu kitschig und zu falsch. Das Schärfste ist doch der Moment, wenn man die eigene Grenze herausgefunden hat und diese dann mit Lust überschreitet. Außerdem ist Sex nicht blumig. Sex ist schwitzig, unelegant, tierisch. Erotik ist nicht immer wie unterm Weichzeichner, und nicht nur junge schöne Menschen haben eine Sexualität. Erotik ist ein Grundrecht, das darf man niemandem aus Design-Gründen absprechen.

Der Volksmund sagt: "Dumm fickt gut" - Arno Schmidt sagt: "Intelligenz lähmt?, schwächt? Scharf wie'n Terrier machtse!"  Wer hat recht?

Ich kenne mich zwar mit Terriern nicht aus, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas mit weniger Gehirn besser läuft. Je mehr graue Zellen mitarbeiten, desto dichter und aufregender wird doch das Kopfkino. Hinter dem Spruch "Dumm fickt gut", der ja wohl nur auf Frauen angewendet wird, steht die chauvinistische Vorstellung, dass eine Frau entweder scharf oder schlau ist.

Heilige oder Hure.

Für manche Männer sind Frauen offensichtlich immer noch eine Mischung aus Efeu und Geschwätz. So eine Art Plapperpflanzen. Großer Unsinn. Frauen sind sexuelle Wesen. Überaus sexuell. Manche Männer würden Angst bekommen, wenn sie wüssten, wie sexuell. "Dumm fickt gut" kann wirklich nur jemand glauben, der noch nie eine intelligente Frau im Bett hatte.

Muss, kann, soll, darf man über alles schreiben? Gibt es für Sie Tabus?

Ich bin strikt gegen Zensur, man darf über alles schreiben. Ich habe Tabus in dem Sinne, dass ich manche Dinge in meinen Geschichten nicht haben möchte, Ekliges aller Art, Gewaltdarstellungen, Sex mit Kindern, Frauenfeindliches, Rassistisches und so weiter.

Was ist Ihnen peinlich?

Peinlich sind mir nur Situationen, in denen ich mich persönlich und live vor Ort blamiere. Beim Knutschen rülpsen zu müssen, ist peinlich.

Da geht aber noch mehr, oder?

Mir ist mal während eines Essens mit einem neuen Lektor in einem Restaurant in der Toilette ein Sommerkleid, das ich über die Kabinenzwischenwand gelegt hatte, weil es keinen Haken gab, in die nächstgelegene Kabine gerutscht und zwar in die offene Schüssel. Da stand ich also in Unterwäsche in dieser Kabine und musste warten, bis jemand reinkommt und an meinem Tisch Bescheid sagt. Schließlich hat mir der Lektor seinen viel zu großen Trenchcoat geliehen, und ich bin wie eine Exhibitionistin in Unterwäsche und Trench nach Hause gefahren. Da wünschte ich heute noch, es wäre nie passiert.

Schämen Sie sich nie beim Schreiben?

Beim Schreiben ist die eigene G’schamigkeit ein ganz wichtiges Handwerkszeug, denn es hat auch etwas mit Erregung zu tun. Man muss bis an den Punkt gehen, an dem man denkt "das kann ich jetzt eigentlich nicht sagen" und dann darauf herumkitzeln. Das ist das Spannende an dieser Art von Literatur: die eigenen Grenzen.

Wer hat mehr vom Lieben: Mann oder Frau?

Immer der, der gerade oben liegt. 

Hat die Emanzipation den Frauen besseren Sex gebracht?

Wenn man sich ansieht, wie humorlos in ambitioniert feministischen Kreisen über Sex geredet wird, kann man das ja kaum glauben. Es ist generell nicht hilfreich, Politik zwischen die Laken mitzunehmen. Sex in der Hündchenstellung kann man ja scharf finden oder nicht, aber es wäre doch idiotisch, etwas zu lassen, das man gern tun möchte, nur weil es ideologisch nicht korrekt ist. Lust ist eben nicht immer ideologisch korrekt. Je selbstbewusster eine Frau ist, je besser sie ihren Körper kennt und je freier sie lebt, desto besser wird natürlich ihr Sexualleben sein.

Sie sind also nicht gerade eine Feministin?

Ich sehe mich durchaus als Emanze in dem Sinn, dass ich es überhaupt nicht akzeptiere, wenn jemand Frauen und Männern unterschiedliche Rechte einräumt. Aber ich habe wenig Lust, diese Themen in meinen Geschichten zu behandeln. Was ich schreibe, sind ja Utopien, nicht nur erotische, sondern auch soziale.

Problembewältigung ist nicht Ihr Ressort?

Meine Frauen sind alle emanzipiert und kommen immer auf ihre Kosten, sie holen sich, was sie brauchen von Männern, die sich darüber freuen. Drumherum gibt es bei mir das Märchenprinzip: Die Bösen werden bestraft, und am Ende siegt die Liebe oder wenigstens die Wahrheit.

Was wäre ein guter Sexfilm?

Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn weibliche Orgasmen gezeigt würden. Wenn die Leute normal attraktiv aussähen und nicht wie lebendige Gummipuppen oder verrentete Wrestler. Ich würde mich freuen, wenn da gerubbelt würde, wo sich tatsächlich die Klitoris befindet. Wenn das Sperma nicht meterweit spritzen würde, als würde gerade die lila Kuh am Set gemolken. Wenn Frauen nicht mehr ekstatisch stöhnend Gummidödel ablecken würden. Wenn ein bisschen Humor dabei wäre. Wenn die Männer richtige Erektionen hätten. Wenn die Frauen feucht wären. Wenn es wenigstens so aussähe, als wäre das, was die da treiben, lustvoll.

Was ist die erotischste Szene in der Literatur?

Das Teenagerpärchen mit der Dildo-Liebhaberin im Garten in Nicholson Bakers Die Fermate ist schon sehr heiß, und zwar nicht wegen der Dinge, die da vorgeführt werden und die ich teilweise sogar abtörnend finde, sondern wegen der Struktur dieser Szene. Baker setzt immer noch einen drauf. Ich habe mehrere Anläufe gebraucht, um das zu Ende zu lesen, weil ich mich zwischendurch immer erst mal wieder abregen musste. Meine zweite Lieblingsszene ist die Entjungferung von Mrs. Nichols' Nichte in Lovers von Thomas H. Burton. Und natürlich fast alle Sexszenen bei Philip Roth, der bitte mal endlich den Nobelpreis bekommen muss!

Und im Film?

Leider (also leider für mich) sind die besten erotischen Szenen, die ich bisher gesehen habe, allesamt schwul, nämlich die in der Serie "Queer as folk". Ich habe keine Ahnung, wieso das mit einem Heteropaar nicht funktioniert, vielleicht weil die nur aus Bewegungsklischees bestehen. Das hat man alles schon tausendmal gesehen. Merkwürdigerweise kenne ich auch keine wirklich scharfe Lesbenszene. Vielleicht sind die Lesbenszenen in lesbischen Filmen zu sehr darauf ausgerichtet, ihre politische Botschaft zu vermitteln.

Und Lesbenszenen in Heteropornos?

Reine Cheerleader-Akrobatik. Bleiben also die Schwulen. Auch in dem wirklich großartigen Film Shortbus ist die schwule Szene diejenige, die am witzigsten und überraschendsten ist. Die häufigste Frage, die von LeserInnen kommt, ist übrigens die, ob ich gute Pornofilme kenne. Leider nein. Aber ich freue mich immer über Tipps. Es ist nämlich nicht so, dass Frauen Pornos deswegen doof fänden, weil man da Menschen ficken sieht, sondern weil die Filme so grottenschlecht sind.

Welche Musik finden Sie erotisch?

Zur Zeit höre ich den ganzen Tag "My sweet prince" von Placebo – wobei ich immer wieder überlege, ob die Zeile "Never thought you'd fuck with my brain" bedeutet "Ich hätte nie gedacht, dass du mir das Hirn rausficken würdest" oder "Ich hätte nie gedacht, dass du mein Hirn ficken würdest" im Sinne von "dass du mich mental so berühren würdest“, ich hoffe, Letzteres. Und sehr sexy finde ich auch "Roads" von Portishead, wobei sexy Musik für mich bedeutet, sexy vor dem Sex. Währenddessen stört mich alles, was Rhythmus oder Text hat. Da möchte ich meinen Partner stöhnen hören und nicht das Schwapp-Uhuu von der CD.

Welche Kunst ist sexy?

Kunst ist immer sexy. Ich liebe Kunst. Jan Saudek mit seinen schrillen, skurrilen Fotoinszenierungen finde ich großartig. Mein Lieblingsbild von ihm ist das grünliche "The Burden", auf dem ein nackter Mann zu sehen ist, der einen riesigen weißen Frauenhintern auf seinen Schultern schleppt und das mit einer Anmut und Würde, als wäre es ihm eine Ehre. Aber generell macht mich jede Kunst an, bei der ich erst mal zusammenzucke, da müssen gar keine erotischen Szenen zu sehen sein. Jenny Saville, Joel-Peter Witkin, Francis Bacon, Maria Lassnig oder Louise Bourgeois machen ja verstörende Kunst, das hat dann überhaupt gar nichts mit Sex zu tun, sondern eher mit einer Art Brainfuck. Intensive Kunst ist einfach immer sexy. Ein perfekter Urlaubstag besteht für mich aus einer irren Ausstellung, landestypischem Kuchen auf einer sonnigen Parkbank und Sex im Hotelzimmerbett. Oder in der Hotelzimmerdusche. Oder auf dem Hotelzimmerbalkon.

Ist die Liebe heute schwieriger als früher?

Schon der erste Neandertaler hat sich mit seiner Frau darüber gezankt, ob man das Mammut nach oder vor dem Sex zerlegt, warum die Jagd so lange gedauert hat, wieso die Höhle nicht gefegt war oder was der stinkige Zottel aus der Nachbarsippe hier zu suchen hatte. Aber wenn ein fieser Säbelzahntiger vorbeischlappte, haben sie Seite an Seite gekeult, und abends beim Feuer hat man sich dann gegenseitig mit knuspriger Mammutkeule gefüttert und sich auf einem Bärenfell liebgehabt. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Da ändert sich wenig.

Es ist also ganz und gar hoffnungslos?

Viele glauben, dass es Rezepte für guten Sex gibt, dass man Techniken lernen und dann alle Erwartungen erfüllen kann. Dabei ist Sex die reine Anarchie, eine gesetzfreie Zone. Was nicht bedeutet, dass es keine Gesetze gibt, sondern dass man sie sich selbst machen muss. Ich glaube, dass genau das viele Leute extrem verunsichert. Jeder möchte gern wissen, was normal und gut ist, aber in der Erotik gibt es diese Werteskala einfach nicht. Gut heißt immer, gut für mich bzw. uns. In Bezug auf meine Sexualität bin ich selbst der Nabel der Welt, der alleinige Maßstab. Das ist eine riesige Freiheit, die man unendlich genießen kann – und eine große Verantwortung sich und den anderen Beteiligten gegenüber.

Haben Sie einen geheimen Traum, die Sie noch niemandem erzählt haben?

Ich würde irrsinnig gerne mal ein kleines hässliches Tier in einem Zeichentrickfilm singen. Für die Prinzessin langt meine Stimme nicht, und Prinzessinnen sind sowieso langweilig. Aber eine schräge Küchenschaben-Ballade, das wär was!

Was sagen eigentlich Ihre Eltern zu Ihrem Job?

Meine Eltern freuen sich, dass ich Spaß am Leben habe und meine Miete bezahlen kann, ihnen also nicht auf dem Gemüt oder auf der Tasche liege. Mein Partner hat sich mich ausgesucht, der wusste, was auf ihn zukommt. Meine Freundinnen finden es witzig, mich auf Partys fremden Leuten vorzustellen mit "Das ist die Sophie, sie arbeitet in der Pornobranche" und das dann so stehen zu lassen. Die Leute auf der Party erzählen mir nach wenigen Minuten Smalltalk unglaubliche Details aus ihrem Sexualleben, ich höre oft fassungslos zu und kann nur staunen.

Wieso schreiben Sie eigentlich ausgerechnet über Sex?

Ich bin froh, dass ich ein Thema habe, das so viel mit mir und meinem Leben zu tun hat, das mich wirklich interessiert und auch emotional beschäftigt. Sich damit auseinanderzusetzen, hält wach und fit. Erotik ist ein zutrauliches treues Haustier. Aber man muss es Gassi führen, füttern und hätscheln, sonst geht es ein oder fängt an zu beißen.

   
 
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